»Schon seit langem wird das traditionelle Bild in den Räumen der Galerien, Privatsammlungen und Museen durch das großformatige photographische Bild oder durch Ready-mades und Medienkunst ersetzt. Vor allem übernimmt die Photographie heutzutage die traditionellen Aufgaben der Malerei, die sich die Malerei selbst nicht mehr zu erfüllen traut. Das malerische Bild zerbrach allmählich unter den überzogenen Erwartungen und Forderungen, mit denen es seit dem Aufkommen der historischen Avantgarde konfrontiert wurde. Die Geschichte des malerischen Bildes in diesem Jahrhundert war die Geschichte seiner langen Agonie. Rückblickend läßt sich vielleicht sagen, daß der langsame Übergang vom malerischen zum photographischen Bild das eigentliche Kunstereignis der letzten Jahrzehnte war, wobei, wie bei jedem bedeutenden Wechsel, im Endeffekt alles beim Alten blieb.
Wenn heute das Werk eines einzelnen Photographen besprochen wird, handelt es sich dabei fast immer um seinen Inhalt, um das Verhältnis des Photographen zum abgebildeten Gegenstand – wie es in der traditionellen Kunstkritik vor dem Aufkommen der Avantgarde üblich war. Die neuen Techniken der Bildproduktion haben die Farbe arbeitslos gemacht. Und das Verdienst von Matthias Lutzeyer besteht darin, die Farbe schonlungslos und konsequent in diesem arbeitslosen Zustand zu zeigen. Es handelt sich nicht mehr darum zu demonstrieren, wie die Farbe arbeitet, sondern wie sie aussieht, wenn sie nicht arbeitet. Schon Marcel Duchamp hat darauf hingewiesen, daß der Künstler immer schon mit den Ready-mades arbeitet, wenn er mit Farbe arbeitet. Man merkt diesen Ready-made-Charakter der Farbe meistens nicht, wenn die Farbe im Arbeitsprozess verwendet wird. Aber nachdem der Farbe ihre Funktion als Mittel zur Abbildung der Außenwelt entzogen wurde, ist sie selbst zu einem Ding, zu einer trägen Masse geworden, die uns plötzlich seltsam und verstörend vorkommt. So erscheint die Farbe in den Arbeiten von Lutzeyer – und so gewinnt sie noch einmal unsere Sympathie in den Zeiten ihrer gesellschaftlichen Not.«
»Das Material ist schwer zu bändigen. Nur so gerade hat es sich eine überschaubare Begrenzung gefallen lassen, aber im Untergrund scheint es noch zu brodeln und der Blick fällt vielleicht nur auf eine erkaltete Oberfläche, die soeben erst erstarrt ist. Die Assoziation an vulkanische Prozesse und deren zähe Urschlacken hat sich längst eingestellt und ist auch so schnell nicht mehr zu vertreiben. Etwas Gefährliches haftet an diesen Energiefeldern. Aufgepasst, - an den scharfen Spitzen und Graten könnte man sich verletzen! Die widerspenstige Masse sortiert sich durch vorerst anarchisch anmutende Strukturen, an deren Erscheinungsweise das Licht mitmodelliert und dem heftigen Gewoge partiell eine geradezu unwirkliche Leichtigkeit verpasst. Die Schwerkraft wurde überwunden, die Gefahrenschwelle sinkt. Ein seidiges Glänzen, das sich an Kulminationspunkten sammelt, liegt ohnehin über dem Ganzen. Schwarz? Die von Anfang an mitlaufende Sehnsucht, den Objekten mit einer real fundierten Farbklassifizierung ein kleines Stück Ruhe, ja Ordnung zu verschaffen, gerät bereits hier ins Wanken. Die Farbe arbeitet. Wenn das Schwarz ist, dann hat es sich in einer ganzen Palette von Grau und Anthrazit aufgefächert bis hin zu den silbernen Lichtern.
An Malerei denkt man vielleicht zuletzt, doch sie bleibt der notwendige Bezugspunkt dieser Arbeit und wie Matthias Lutzeyer sie in der aktuellen Auseinandersetzung um das Medium verortet. Das sich vergewissernde Sehen stößt dabei auf Grundsätzliches, anders gesagt: Die mitlaufenden Entgrenzungen machen einen Sinn nur durch den ihnen eingeschriebenen Diskurs, und was eine Grenze ist, ergibt sich erst im Blick zurück! Fluchtpunkt aller Referenzen ist das Tafelbild. In Abstand und Nähe dazu organisiert sich eine natürliche Sehhilfe. Zum Beispiel das Relief, das wird geöffnet bis kurz vor dem Punkt, wo die Klassifizierung in Richtung Skulptur abdriftet. Den Objekten eignet in der Tat etwas Raumgreifendes, und das wird der Malerei als ein Zugewinn an Volumen angerechnet. Gelegentlich wandern diese Arbeiten auch von der Wand auf den Boden, um dort nur noch sehr bedingt als Bilder wahrgenommen zu werden; doch die Vertikale bleibt der primäre Austragungsort des medialen Balanceaktes. Dem mutwilligen Eskapismus stellt sich an einem bestimmten Punkt die natürliche Stabilität des Materials in den Weg oder schlicht und einfach das Gewicht.
Unnötig zu sagen, das im klassischen Sinn nicht mehr gemalt wird. Matthias Lutzeyer modelliert ein Material, das er sich nach seinen Bedürfnissen in gewisser Weise neu erfunden hat, seit etwa 2003 fast ausschließlich Russpigmente mit Leinöl, die in einem eigens dafür entwickelten Gestehungsprozess als trockenteigige Masse bereitgestellt und weitgehend von Hand bewegt wird. Unmittelbarkeit herrscht vor im monologischen Durchkneten der einen Universalfarbe. Die Auseinandersetzung mit dem selbst organisierten Eigensinn, die Tendenz des Materials im kreativen Widerspruch zum Formbewusstsein macht einen Reiz dieser Arbeit aus.
Die meisten dieser wuchernden Farbgebirge sind um eine Holztafel, gelegentlich noch um einen Keilrahmen entwickelt. Das ist zum ersten eine konstruktiv-technische zum zweiten aber auch eine konzeptionelle Maßnahme, die diese Objekte gleichsam von innen stützt, sie fördert den Augenschein indem sie Verbindungen zu den Referenzen der Wahrnehmung in schöner Doppeldeutigkeit bestätigt. Das Rechteck bzw. Quadrat bleibt so ein immerwährender Orientierungspunkt, der auch in den abenteuerlichsten Entgrenzungen spürbar bleibt. Die Tafel ist letztlich das Herz des Bildes. Sie ist nicht unbedingt zu sehen aber zu spüren. Man könnte sich an die Prinzessin auf der Erbse erinnert fühlen. Nur manchmal emanzipieren sich die anarchischen Stücke von diesem stabilisierenden Inneren und organisieren sich in freien Haufen; doch die aus den alten Funktionsprozessen entlassene Farbe entwickelt im hochsensibilisierten Rezeptionsprozess durch die erfahrenen Betrachter augenblicklich die Fähigkeit, Malerei zu sein; eine noch so geringe kontextuelle Andeutung genügt. Was bin ich, was siehst Du? Wer auf diese Fragen mitfühlend eingehen kann ist nicht nur ganz nah bei dieser Malerei, sondern auch ganz nah bei sich selbst.«
»Die Arbeiten des Stuttgarter Künstlers Matthias Lutzeyer sind schwarz. Eine Farbe, ein Zustand. Aber dieser Zustand ist durchwühlt von Bewegung, immer zwischen gerichtet und ungerichtet. Vor allem gibt es einen Übergang zwischen Objekt und Bild. Letztlich werden diese schlackeartigen, klumpenartigen Objekte doch zu Bildern, zu Malerei, weil sie ihre Greifbarkeit und Plastizität verlieren. Die lichtschluckende "Farbe" Schwarz verbindet sich mit der durchfurchten, schlammartigen Tiefe des Objekts, Schwarz als Schatten und Schwarz als Farbe.
Die Bilder von Lutzeyer haben etwas Offenes und Dynamisches und zugleich etwas Kompaktes und Zuständliches. Die Qualität dieser Arbeiten liegt eben darin, dass sie Übergänge verkörpern und damit auf sinnliche Weise unsere Kategorien auflösen - ich wiederhole noch einmal: durch die Bewegungen des Sehens und des optischen Begreifens.« * Dr. Erich Franz, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster
»Matthias Lutzeyers plastische Arbeiten haben ihren Ort an Grenzen, so einseitig sie zunächst scheinen mögen. Schon gattungsmäßig bewegen sich seine Objekte an der Grenze zwischen Skulptur und Relief, seine Tafeln an der Grenze zwischen Relief und klassischem Tafelbild.
Die informelle Struktur seiner Werke beruht wesentlich auf einer scheinbaren Dominanz des Stofflichen, fortwährend leicht variierenden Mischungen von pulverisiertem Eisenoxid mit wechselndem Binder, mit dem sich Lutzeyer zunächst des Materialbestandes der klassischen Ölmalerei bedient.
Im individuellen Gestaltungsprozeß lotet Lutzeyer jedoch in vielfältigster Weise die Grenzen und Übergänge zwischen materialeigenen Formtendenzen und gestalterischen Eingriffen aus. Das Ergebnis sind Werke, die sich in geheimnisvoller Weise in einer Zone zwischen Natur und Kunstprodukt bewegen, zwischen halbwillkürlich entstandenem Industrierückstand und bewusst präsentiertem Ausdrucksträger.
Auch im Betrachten entfalten sie ihre Reize erst an der Grenze zwischen Sukzession und Simultaneität. Auf den ersten Blick nahezu amorph, sensibilisieren die Werke den Blick des Betrachters bei anhaltend aufmerksamem Zusehen mehr und mehr für den zurückhaltenden Reichtum der Übergänge zwischen diskreten Kleinformen, die aus übergreifenden Strömen hervorgehen oder aber sich in integrierende Ströme zusammenschließen, Formen, die Oberfläche bilden und zugleich Oberfläche auflösen, Formen, die in Schluchten und Zwischenräumen zu verschwinden scheinen, doch im Verschwinden zugleich neue Formen bilden: Phänomene eines im Betrachten unerwartet aufscheinenden Lebens von Objekten, die, mit Rinde oder Schlacke assoziiert, als Endpunkte eines lebendigen Prozesses erscheinen.«
»Alles, was wir sehen, wird zum Bild. Was ein Bild ist, ist auch eine Sache der Konvention, so sehr ein Bild ein Bild ist, ein ausdrücklicher, konzentrierter Eindruck eines ästhetischen Gegenstandes auf die Augen, und, falls es ein gutes Bild ist, nicht nur das: ein eindrückliches Eingehen auf den Körper, den Geist, die Seele.
Aber was ist ein Bild, hier, bei Matthias Lutzeyer, also: Was ist ein gutes Bild? Eine sachliche Sache, da ihr Material und Konvention bekannt ist, hiermit bekannt gegeben wird: früher Leinwände, früher Eitempera, eine der klassischen Maltechniken, später, früher und später Holztafeln, Pigmente, also Farbe in hoher Potenz, also Farbe, also Malerei, aber: ohne Rahmen, das ist eine alte Konvention. Diese Bilder sind nach klassischen Vorstellungen Gemälde, und wie Matthias Lutzeyer damit umgeht, ist es Malerei, nicht mehr, nicht weniger: Kunst. Aber selbst das wäre eine bildnerische Konvention.
Gestatten Sie mir einen Bogen zurück, einen Mäander, ein fließendes Ornament, denn alles, was wir sehen, sind Bilder, das hat mit unseren Wahrnehmungen zu tun, denn wir ordnen alle Erscheinungen der Welt zu Bildern, und daher ist es eine Sache der Ortung, was wir zu Bildern zusammensetzen, eine Konvention, ein Weltverständnis, das verständlicherweise nicht immer den Bau der Welt versteht.
Bei alten Bildern ist das anders, die verstehen wir, indem wir sie ungefragt mögen: ein Fußballspiel, ein Bildschirmschoner, na, ja, aber deswegen lesen Sie das nicht: Es geht um Kunst, und wer versteht sie schon, denn indem wir sie verstünden, würde sie langweilig, und deswegen lesen Sie dies schon gar nicht.
Verstehen Sie mich richtig, ich stehe hier, um Ihnen diese Bilder, so ich es vermag, verständlich zu machen, und will Ihnen sagen, dass ich diese Bilder deswegen schön finde, weil ich sie nicht verstehe. Das ist Teil des Ästhetikbegriffs von Schönheit. Aber zum eigenen Verständnis werde ich, das ist mein Beruf, in der Geschichte dieser Bilder bis zu den jetzigen Gemälden vorangehen, es ist ein allein didaktisches Vorgehen seit dem letzten Jahrzehnt, ein frühes, großes, gestrecktes blaues Gemälde, wie es sich gehört, auf Leinwand, das betone ich, weil dieses Gewebe von hinten Licht durchdrücken kann, welches die Bilder von hinten zu erleuchten vermag, ein lange bekannter malerischer Trick, ein Panorama, die nächste Konvention, ein Bild so lange zu strecken, dass es perspektivisch vielschichtig wird, örtlich wie räumlich lang, eine ganze Welt sozusagen, und das Panorama ist ein Erzähltypus, von links nach rechts, von da nach dort, von damals bis heute in einem Gang, eine Entwicklung als Abwicklung, auf der dann auch durchaus figurativ gestalteten Oberfläche, die Matthias Lutzeyer mit Ultramarinpigment einbläute wie einstrich, indem er eine Eitempera benutzte.
Man nehme Eier, riechen Sie mal daran, wenn Sie nahe dran sind: Leinöl, ein intensiver Geruch, ein hochwertiges Malöl, das er nach und nach auf der Fläche einsumpfte, ein organisches Arbeiten, um die Fläche zu verdichten, um mit relativ wenig Pigment, also Farbe, zum Ziel einer Fläche zu kommen, die aus der Realität von Farbe auf der Leinwand Illusionen zu zaubern, das ist der Auftrag der Künstler von jeher: das Ziel der Malerei, auf der Fläche Räume zu suggerieren.
Während des Malens, und Matthias Lutzeyer malt mit den Händen, einem unmittelbaren Ausdruck des Körpers, nicht des Kopfes nur, ist zu bemerken, dass die Vermischung von Farbkorn und Bindemittel ihr Eigenleben entwickelte, dass sich Helligkeiten und Dunkles wie von selbst ergaben, und, dass es Gruppierungen von Helligkeiten ergab, die sich selbst zu quasifigurativen Momenten zusammenfanden, das ist ein üblicher surrealer, psychischer Prozess, eine Erinnerung an Gestalt, was immer das beim Betrachter, nein, beim jeweiligen Betrachter erzeugt, sich zu fragen: Was ist die Wirklichkeit, was Illusion, was Suggestion, also: Wie fest ist ein Körper, wie äußert sich innere, wie äußere Bewegung, wie achten wir darauf, wie verhält sich unsere Beobachtung zur statischen, zur dynamischen Welt? Und das Ganze wird dann verblüffend schnell aus dem individuellen Erleben ein objektivierbarer Fakt: Unsere Welt ist schnell. Und ein Drittel Ihrer Lesezeit ist um.
Aber weiter in der Frage: Was ist Erzählung innerhalb eines Gesamtbildes, das im Prinzip allein aus seiner strukturierten Fläche erstehen soll, und, um seinen Ausgangspunkt in der Geschichte vielleicht von strukturalistischen Ansätzen etwa, aber nur wegen des Blau etwa bei Yves Klein, jenen strahlenden Klangräumen materialistischer Illusion etwa in seinen Schwammbildern: greifbare Tiefenräume, einen Widerspruch, zu finden, zu suchen, wäre ein Ausschnitt, der durch den randlosen Rand noch verstärkt wurde, und, ein Begriff: Nouveau Realisme, eine Wirklichkeit, die über die Abbildlichkeit hinausgeht.
Dieses Moment erzählerischer Informationen: einen Kopf etwa, schwächte Matthias Lutzeyer allmählich merklich ab, indem er damals experimentierte, um aus der Tradition jener zeitgenössischen Kunst auszusteigen, die auf der Festigkeit von Begrifflichkeiten bestand, indem er vor zehn Jahren in kleinen Bildern in Eisenoxidschwarz die klassische Illusion von Wand- wie Fensterbildern (ein Topos seit Leonardo: Kunst-Bilder bestehen aus Wänden als Grund der Malerei, aus Fenstern als Ausblicken und aus Bildnissen als Widerspiegelungen des Eigenen) paraphrasierte, und dies auch 1996 in Reliefs ohne ausdrücklicher Geste schuf, ohne verbalisierter Geschichte, nur Abstrakta schuf, nur Natur, aber welche Begriff von Abstraktion, von Natur ist dies, aus der Struktur herauswachsend, und was wiederum bedeutet hier Struktur, sich an Bildern etwa von Tapiés und deren Strukturalismus, auch am Material- wie Zeichenbegriff der Semantik zu orientieren, Fragen zu stellen, diese im Bild zu befragen und in neuen Bildern neue Fragen aufzuwerfen.
Auf alten, verworfenen Leinwandgründen Ultramarin einzudicken, um Richtungen im Bild zu organisieren, damit, nach klassischem Muster, einen geordneten Bau zu erleichtern, um der Farbe selbst einen Verlauf zu geben, die Durchlässigkeit der Leinwand aufzulassen und kleine Lichtillusionen einzulassen, sondern aus sich selbst heraus Strahlung, Erleuchtung zuzulassen. Das Pigment kann das und wird aus sich selbst heraus aktiv.
Hier ist eine Schnittstelle, die das Selbstbewusstsein von Gemälden betrifft: Sind es Abbildungen, Erklärungen der Welt oder selbst Elemente, die sich eine eigene Welt bauen? Oder umgekehrt: Sucht der Betrachter in der Kunst nach Erläuterungen, nach Hilfen für sich, oder fragt ein Bild auch, wer der Betrachter sei, wenn er das Bild nicht gleich versteht, da es seine Eigenständigkeit aus sich selbst behauptet, worum freilich der Betrachter stets ringt, falls er das tut?
Was bedeutet das für den Künstler, hier Matthias Lutzeyer? Er ordnet sich dem Malen selbst umso mehr unter, indem er seinen gesellschaftlichen Umraum verändert, von der beruhigend richtigen Seite auf die Frage nach dem Unbekannten, Beunruhigenden wirft. Das ist ein großes Wort, nicht unbedingt gelassen, denn ab da ist er allein gelassen, und dieses Alleinsein hat dann seine Berechtigung, indem er sich aus der Anbindung an die Konventionen sozialer wie ästhetischer Rahmenbedingungen: Perspektiven zu haben, sich in die allbekannte Gemeinschaft Aller gleichermaßen einzureihen, zur klaren Individualität bekennt und zur Autonomie findet; Künstler sind in ihrer Kunst immer Außenseiter. Selbstverständnis hat auch mit Vertrauen zu tun, auch mit Zuversicht auf die Kraft wie Macht dessen, womit er arbeitet, was er achtet: die Zukunft, nicht die alleinige Perspektive der Vergangenheit, nicht allein der allgegenwärtigen Postmoderne, sondern der Neugier der Avantgarde.
Und da er daher umso mehr der Farbe, dem eigentlichen Mittel der Malerei vertraut und nicht mehr allein der Illusion einer ständig gleichen, allein jahreszeitlich wechselnden Beleuchtung durch die durchlichteter Leinwand, nahm Matthias Lutzeyer Holzgründe, auf denen er die Eitempera umso dichter ballen konnte, ein Verfahren, das seit der Pastenmalerei von Jean Fautrier bis Fritz Klemm in der Malerei durchaus üblich ist.
Also: Man nehme eine Holzplatte, zum Beispiel in Preußischblau oder Kohlenruß, einmal mehr, einmal weniger Bindemittel, daher keine Tubenfarbe, sondern selbstgemachte Eitempera, um das Pigment so zu verdichten, dass es energiereiche Pasten, Ballen, Klumpen bildet, und um dann das Pigment auf das Holz zu streuen, um es mit einem Zerstäuber nach und nach wässrig einzusumpfen, oder aber, unten, in der Tiefe mehr mit Eitempera, obenauf mit mehr Gelatine auf die Erhaltung der farbigen Erscheinung zu achten: eine Glasur, ein dem unerfahrenden Beobachter alchimistisch anmutendes Verfahren, aus organischen Substanzen strahlendes Gold, hier einen energiereichen Farbkörper aus blauem, da aus schwarzem Gold zu machen, und das Bild ist dann fertig, wenn es seine eigene Struktur entwickelt, ganz einfach.
Aber, um vielleicht noch einen Schlenker zurück zu schließen: das Pigment erhält eine Bedeutung, die über eines der Malmittel hinausgeht, um die Strahlkraft dieser energiereichen, atomisierten Energiepulver zu beschleunigen: das möglichst reine Pigment zur möglichst reinen Farbe werden zu lassen, ein Hasardspiel zwischen Freiheit und Bindung, aber da waren wir schon, das kennen wir inzwischen alle.
Dann ist der Weg klar, es ist der Wille, nach und nach die klassischen Bindungen zu verlassen, gleich wie die Farbe zunächst heißen mag: ob Ultramarinblau, hier einem hochwertigen Kremerpigment, das zunächst zum Farbbrei vermengt, dann mit den Händen aufgetragen, danach aufgestreut wird wie gehabt, und dann mit der Hand flach verstrichen wird oder mit einem Spatel gestochen und gestrichen wird. Das Ganze zielt auf ein Bild. Dann, ja dann entstehen schon während des Arbeitens Trockenrisse, indem das flüchtige Wasser die Farberde in eine Wüstenei verwandelte, wüchse dabei nicht die Begehrlichkeit, die Schönheit der schöne Natur.Aber welche?
Man nehme, nehmen wir, ich nehme ein paar neue Bilder in Rußschwarz mit Leinölfirnis auf Holz, ca. 50×60 cm oder sehr frische, kleine, mit Blasen, mit Rändern, die aufs Relief zielen, auf äußere Wülste, aber vor allem sind es jene Bilder, die sich zum Relief erheben, das bei Matthias Lutzeyer manchmal Höhe mal Breite mal Tiefe sich gleich anverwandeln lässt. So.
Meine Assoziation geht auf Lava, auf Natur, auf eine pastig - pastose, schrundig aufstoßende Welt körniger Substanzen aus, er hat sie mit der Hand, mit einem Kantholz gedrückt, gezogen, verteilt, aber vor allem mit der Hand aufgetragen, immer wieder, immer dicker, und dort, wo es kantet, wird das reine Pigment, ein Produkt der BASF, um Werbung, wie es sich gehört, einzustreuen, aufgestreut, aber eigentlich ist das Ganze körnend, rußend, na, das eigentlich nicht, das würde Herrn Lutzeyer rußen, Ruß ist gasig, das hier ist fest, eher breit, wie ein kleines Bild aus dem Jahre 2000 in Eisenoxid aufgedrückt aufgetragen, in Auftrag aufgetragen, den Wechsel zwischen Ausschnitt und ganzer Wand vorzutragen, ein Tagwerk einer Wandarbeit, ein Werk, dies alles Werke voller Einzigartigkeit durch ihre Eigenart, die Grenzen der Flächen zugunsten der Dreidimensionalität zu verwischen, und nicht nur dass:
Ich trage Ihnen zum Schluß zwei Theorien vor: Hans von Marées, Maler im 19. Jahrhundert, ging gänzlich vom Pigment aus, das er zu Schollen zusammenbuk, die bisweilen über seine Motive hinausragen, um die linearen Konturen zu meiden, da der Farbe die Linie nicht eigen ist, das die Zeichnung das Zeichen betont, nicht aber die Fläche, die zur Malerei wird. Es wurden bei ihm plastische Massen, deren malerische Intensität hoch ist, und bei seinem Kollegen heute werden diese Massen zu Strukturen, deren Systeme wie Kontinentalschollen über das Bild treiben, ständig in Bewegung, ständig sich austauschend, ständig den Wechsel zwischen fest und flüssig, vorne und hinten, ohne je figurative Dominanz zuzulassen, zu betonen, ein zeitgenössisches System des permanenten Austauschs aller mit allem, ein dynamischer Wechsel aller Teile auf der Fläche, das nun ein System, mit welchem viele von uns tagtäglich arbeiten, die ihre Welt aus Platinen, ihre Mobilität aus der ganzen Welt beziehen, ihre Offenheit aus der Gleichheit aller Menschen und dabei aus der strikten Individualität eines jeden ziehen, ach, darüber ließe sich nun ewig reden, aber das können Sie wiederum sicher besser als ich, und diese Bilder schauen uns dabei zu und sagen: Ja.
Und dies zweite Theorie: Es ist Ihre. Na, denn los.«
© Gert Reising
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